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Colon-Targeting

Nach peroraler Einnahme werden Arzneistoffe meist im Dünndarm absorbiert und nach Leberpassage systemisch über das Blut verteilt. Bei manchen Indikationen wäre es allerdings wünschenswert, den Wirkstoff erst im Dickdarm freizusetzen.

Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, wie z.B. der Colitis ulcerosa, sollen entzündungshemmende Wirkstoffe ihre Wirkung an den Entzündungsherden im Dickdarm entfalten können und nicht zuvor bei der Dünndarmpassage in den Organismus aufgenommen werden. Auch bei Morbus Crohn, wo große Abschnitte des Dickdarms entzündet sein können, oder im Fall von Kolon- oder kolorektalen Karzinomen werden die Wirkstoffe idealerweise direkt am erkrankten Gewebe freigesetzt.

Durch die lokale Freigabe können die applizierte Wirkstoffmenge der meist aggressiven Wirkstoffe (z.B. Glucocorticoide, Zytostatika, Immunsuppressiva, etc.) und folglich auch die drastischen Nebenwirkungen reduziert werden.

Es wird vermutet, dass auch manche Peptid-Arzneistoffe (z.B. Insulin) im Dickdarm absorbiert werden können, wenn sie unversehrt über die Magen- und Dünndarmpassage bis dorthin gelangen. Gegenüber der intravenösen Injektion dieser Peptid-Wirkstoffe würde ihre perorale Einnahme die Akzeptanz durch die Patienten (Compliance) wesentlich verbessern.

Für diese Anwendungen ist eine gezielte Freisetzung des Wirkstoffs aus einer festen Arzneiform erst im Dickdarm anzustreben ("Colon-Targeting" oder besser "Colon-spezifische Wirkstoff-Freisetzung"). Ein mögliches Konzept dafür ist die Entwicklung von  Überzugsmaterialien oder Matrices für Tabletten, Granulate oder Kapseln, die nicht von den Verdauungssäften im Magen und Dünndarm aufgelöst werden, sondern aufgrund ihrer Eigenschaften spezifisch durch bestimmte Enzyme der bakteriellen Flora des Dickdarms  abgebaut werden, um dort den Wirkstoff freizusetzen.

Auf diesem Gebiet wurden in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Bauer so große Erfolge bei der Synthese geeigneter Materialien, meist Derivate von Polysacchariden, erzielt (Dissertationen Dr. Christian Wohlschlegel, Dr. Antonio W. Sarlikiotis, Dr. Jürgen Betzing, Dr. Verena Siefke, Dr. Stefan Hirsch und Dr. Vera Binder), dass diese Arbeiten am Lehrstuhl weitergeführt werden.

Es werden Kombinationen bewährter Überzugsmaterialien mit ausgewählten Wirkstoffen getestet und vorhandene in-vitro-Testmethoden zur Wirkstofffreisetzung im Dickdarm stetig verbessert (Dissertationen Dr. Axel Fetzner, Dr. Dagmar König, Dr. Stefan Böhm, Dr. Ali Al-Raghban, Dr. Nadia Schwalm und Dr. Michael Drechsler).

Die Testung des enzymatischen Abbaus von Überzugsmaterialien mit Hilfe des Colon-Mikroflora-Tests, der schon seit vielen Jahren am Lehrstuhl etabliert ist, wird stetig weiterentwickelt. Es werden diverse Strategien untersucht, um die Wirkstofffreisetzung in Magen und Dünndarm gegen Null zu senken und eine möglichst schnelle Wirkstofffreisetzung zu erreichen, sobald die Tablette den Dickdarm erreicht hat. Auch wird der Einfluss der Nahrung und physiologisch auftretende Drücke im Gastrointestinaltrakt in einer biorelevanten Wirkstofffreisetzungsapparatur in Kooperation mit Dr. Grzegorz Garbacz von der Universität Greifswald untersucht. Kettenlänge und Kettenlängenverteilung der eingesetzten Polymere zur Filmbildung wurden in Zusammenarbeit mit der BASF SE, Ludwigshafen charakterisiert. Es wird versucht, neue Überzugsdispersionen zu entwickeln, die noch schneller und einfacher aufzutragen sind und dabei noch immer dickdarmspezifisch den Wirkstoff freisetzen.

Förderung
Die Arbeiten werden seit 2004 finanziell von der Fa. Dr. Falk Pharma GmbH, Freiburg, unterstützt.

 

Drechsler M, Garbacz G, Thomann R, Schubert R: Development and evaluation of chitosan and chitosan/Kollicoat Smartseal 30 D film-coated tablets for colon targeting, Eur. J. Pharm. Biopharm. 88, 807-815, 2014. [zum Originalartikel]

 

Hirsch S, Binder V, Schehlmann V, Kolter K, Bauer KH: Lauroyldextran and crosslinked galactomannan as coating materials for site-specific drug delivery to the colon, Eur. J. Pharm. Biopharm. 47, 61-71, 1999. [zum Originalartikel]

 

 

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